Sri Aurobindo
Das Göttliche Leben
Buch 1
Kapitel XXVII. Das siebenfache Geflecht des Seienden
In der Unwissenheit
meines Gemüts frage Ich nach diesen Stufen der Götter, die im Inneren errichtet
sind. Die allwissenden Götter haben das einjährige Kind genommen und
sieben Garne um es gewoben, um dieses Gewebe zu machen.
Rig Veda, I.164.5
Bei unserer Erforschung der sieben großen Prinzipien des Seienden, die die Seher des Altertums als die Grundlage und siebenfältige Art alles kosmischen Daseins festlegten, haben wir jetzt die Stufenfolge von Evolution und Involution erkannt und sind bis zur Basis des Wissens gelangt, nach dem wir streben. Wir legten als Ursprung, Inhalt, anfängliche und letzte Wirklichkeit all dessen, was im Kosmos existiert, das dreieinige Prinzip von transzendentem und unendlichem Sein, Bewußtsein und Seligkeit dar, das die Art göttlichen Wesens ist. Bewußtsein hat zwei Aspekte: einen erleuchtenden und einen wirksamen, Zustand und Macht von Selbst-Erkenntnis und Zustand und Macht von Selbst-Kraft, wodurch sich das Seiende in seinem statischen Zustand wie in seiner dynamischen Bewegung selbst besitzt. Denn in seiner schöpferischen Aktion weiß es durch allmächtiges Selbst-Bewußtsein alles, was latent in seinem Inneren ist; es bringt das Universum seiner Macht-Möglichkeiten durch eine allwissende Selbst-Energie hervor und regiert es. Diese schöpferische Aktion des All-Seienden hat ihre Verknüpfung im vierten vermittelnden Zwischen-Prinzip des Supramentals oder der Real-Idee, worin ein mit Selbst-Sein und Selbst-Gewahren geeintes göttliches Wissen und ein in völligem Einklang mit diesem Wissen befindlicher substantieller Wille – denn er ist selbst in seiner Substanz und Natur jenes selbst-bewußte, in erleuchtetem Wirken dynamische Selbst-Sein – unfehlbar Bewegung, Form und Gesetz der Dinge in richtiger Übereinstimmung mit ihrer selbst-seienden Wahrheit und in Harmonie mit den Bedeutungen ihrer Manifestation entfalten.
Die Schöpfung hängt ab von dem zweieinigen Prinzip von
Einheit und Vielfalt, sie bewegt sich zwischen beiden. Sie ist eine Vielfalt von
Idee, Kraft und Form, die der Ausdruck ursprünglicher Einheit ist. Und sie ist
ewige Einheit, die Grundlage und Wirklichkeit der vielfältigen Welten ist und ihr Spiel möglich macht. Supramental verwirklicht sich darum
durch die doppelte Fähigkeit: durch verstehende und wahrnehmende Erkenntnis.
Fortschreitend von der wesenhaften Einheit zu der sich daraus ergebenden
Vielfalt versteht es alle Dinge in sich als sich selbst, das Eine in seinen
vielfältigen Aspekten. Und es nimmt alle Dinge gesondert wahr als Gegenstände
seines Willens und Wissens. Zwar sind für sein ursprüngliches Selbst-Bewußtsein
alle Dinge ein einziges Wesen, ein einziges Bewußtsein, ein einziger Wille, eine
einzige Seligkeit im Selbst und die ganze Bewegung der Dinge ein einziger und
unteilbarer Ablauf. In seiner Aktion schreitet aber das Supramental von der
Einheit fort zur Vielfalt und wieder von der Vielfalt zur Einheit und erschafft
so eine geordnete Beziehung zwischen ihnen sowie den äußeren Anschein, doch
keine bindende Wirklichkeit, einer Zerteilung: eine subtile, nicht-zertrennende
Teilung, eher eine Abgrenzung und Bestimmung innerhalb des Unteilbaren. Das
Supramental ist die göttliche Gnosis, die die Welten erschafft, regiert und in
ihrem Bestehen erhält: es ist die verborgene Weisheit, die sowohl unser Wissen
wie unsere Unwissenheit trägt.
Wir haben auch entdeckt, daß Mental, Leben und Materie ein dreifacher Aspekt dieser höheren Prinzipien sind, die, soweit das unser Universum betrifft, dem Prinzip der Unwissenheit untergeordnet wirken, jener vordergründigen und scheinbaren Selbstvergessenheit des Einen in seinem Spiel der Teilung und Vielfalt. In Wirklichkeit sind diese drei Prinzipien nur untergeordnete Mächte der göttlichen Vierfaltigkeit: Das Mental ist eine untergeordnete Macht des Supramentals, das sich auf die Basis der Zerteilung stellt und hier tatsächlich die dahinterstehende Einheit vergißt, obwohl es fähig ist, durch Wiedererleuchtung vom Supramental her zu ihr zurückzukehren. In ähnlicher Weise ist Leben eine untergeordnete Macht des Energie-Aspekts von saccidananda. Es ist Kraft, die die Form und das Spiel bewußter Energie vom Standpunkt der vom Mental geschaffenen Zertrennung her ausarbeitet. Materie ist die Form der Substanz des Wesens, die das Sein von saccidananda annimmt, wenn es sich dieser Aktion seines eigenen Bewußtseins und seiner Kraft in der äußeren Erscheinungswelt unterwirft.
Hinzu kommt noch ein viertes Prinzip, das an der
Verbindungsstelle von Mental, Leben und Körper in Erscheinung tritt. Wir nennen
es die Seele. Sie erscheint uns aber in doppelter Weise: vordergründig als die Begehren-Seele, die nach Besitz und Genuß der Dinge strebt, und
dahinter, weitgehend oder völlig durch die Begehren-Seele verborgen, die wahre
seelische Wesenheit, der wirkliche Speicher für die Erfahrungen des Geistes. Wir
sind zu dem Schluß gekommen, daß dieses vierte Prinzip im Menschen eine
Projektion und Aktion des dritten göttlichen Prinzips unendlicher Seligkeit ist.
Sein Wirken geschieht jedoch in den Begriffen unseres Bewußtseins und unter den
Bedingungen der Seelen-Evolution in dieser Welt. Wie das Sein des Göttlichen
Wesens seiner Natur nach unendliches Bewußtsein und die Selbst-Macht dieses
Bewußtseins ist, so ist die Natur seines unendlichen Bewußtseins lautere
unendliche Seligkeit. Besitz des Selbsts und Innesein des Selbsts sind das Wesen
seiner Selbst-Seligkeit. Auch der Kosmos ist ein Spiel dieser göttlichen
Selbst-Seligkeit, und die Seligkeit dieses Spiels gehört völlig dem
Allumfassenden. Aber wegen des Wirkens von Unwissenheit und Zerteilung wird sie
im einzelnen Menschen in dessen subliminalem und überbewußtem Wesen
zurückbehalten. Sie fehlt in unserem vordergründigen Dasein. Wir müssen sie
suchen, finden und in Besitz nehmen, indem wir das individuelle Bewußtsein zur
Universalität und Transzendenz hin entwickeln.
Wir können also, wenn wir wollen, acht statt sieben Prinzipien aufstellen. (Die Seher des Veda sprechen von sieben Strahlen, aber auch von acht, neun, zehn oder zwölf.) Dann erkennen wir, daß unser Dasein eine Art Widerschein des göttlichen Seins ist, eine umgekehrte Ordnung von Auf- und Abstieg in folgender Reihenfolge:
Sein Materie
Bewußtseins-Kraft Leben
Seligkeit Seele
Supramental Mental
Das Göttliche Wesen kommt aus dem reinen Sein herab in
das kosmische Wesen durch das Spiel von Bewußtseins-Kraft und Seligkeit sowie
durch das schöpferische Medium Supramental. Wir steigen zum göttlichen Wesen
empor von der Materie durch die Entwicklung von Leben, Seele und Mental sowie
durch das erleuchtende Medium Supramental. Die Verknüpfung zwischen diesen
beiden Hemisphären, der höheren und der niederen, parardha und
aparardha, ist dort, wo Mental und Supramental zusammentreffen, mit einem
Vorhang dazwischen. Bedingung für das göttliche Leben in der Menschheit ist, daß
der Vorhang zerrissen wird. Denn das Mental kann sein göttliches Licht im all-umgreifenden Supramental wiedergewinnen, die Seele ihr göttliches
Selbst im alles besitzenden, all-wonnevollen ananda verwirklichen, Leben
seine göttliche Macht im Spiel einer allmächtigen Bewußten Kraft neu erwerben,
Materie sich für ihre göttliche Freiheit als eine Form göttlichen Seins öffnen,
wenn der Schleier zerrissen wird, das höhere Wesen erleuchtend in die Natur des
niederen Wesens herabkommt und das niedere kraftvoll in die Art des höheren
emporsteigt. Sollte es für die Evolution, die gegenwärtig ihre Krone und ihr
Haupt hier im menschlichen Wesen findet, ein Ziel und nicht nur zweckloses
Herumirren im Kreis und individuelle Flucht aus diesem Kreislauf geben und
sollte die unendliche Machtmöglichkeit dieser menschlichen Kreatur, die allein
hier zwischen Geist und Materie dasteht in der Vollmacht, zwischen beiden zu
vermitteln, einen anderen Sinn haben, als zuletzt aus der Enttäuschung des
Lebens aufgeweckt zu werden durch Verzweiflung und Abscheu vor dem kosmischen
Bemühen und dann alles ganz abzulehnen, – muß gerade solch erleuchtende und
machtvolle Umwandlung und das Hervortreten des Göttlichen Wesens in der
menschlichen Kreatur jenes hoch-erhabene Ziel und jene höchste Sinnerfüllung
sein.
Bevor wir uns aber den psychologischen und praktischen
Bedingungen zuwenden können, unter denen eine solche verklärende Umgestaltung
aus nur wesenhafter Möglichkeit zur dynamischen Macht der Verwirklichung werden
kann, haben wir noch viel zu bedenken. Müssen wir doch nicht nur die
wesentlichen Prinzipien der Herabkunft von saccidananda in das kosmische
Dasein klar erkennen, was wir bereits getan haben, sondern auch den umfassenden
Plan seiner hiesigen Ordnung und die Art und Aktion der manifestierten Macht von
Bewußter Kraft, die über den Bedingungen regiert, unter denen wir jetzt
existieren. Zuerst müssen wir erkennen, daß die sieben oder acht von uns
untersuchten Prinzipien für die gesamte kosmische Schöpfung wesentlich sind. Sie
sind hier, manifestiert oder noch nicht manifestiert, in uns selbst, in diesem
“einjährigen Kind”, das wir noch sind, – denn wir sind noch weit davon entfernt,
die Erwachsenen der evolutionären Natur zu sein. Die höhere Dreieinigkeit ist
Ursprung und Basis allen Daseins und seines Spiels, und der gesamte Kosmos ist
Ausdruck und Wirken ihrer wesenhaften Wirklichkeit. Kein Universum kann nur eine
Form des Wesens sein, die absolutem Nicht-Sein entsprungen wäre, sich in einer
absoluten Leere gestaltet hätte und nun dasteht vor dem Hintergrund einer nicht-seienden Öde. Das Universum muß entweder selbst eine
Gestalt des Seins sein innerhalb des unendlichen Seins, das jenseits aller
Gestaltung ist, oder es ist notwendigerweise selbst das All-Sein. Wenn wir unser
Selbst mit dem kosmischen Wesen einen, sehen wir, daß es in Wahrheit beides
zugleich ist. Das heißt, es ist der All-Seiende, der Sich Selbst ausformt in
eine unendliche Reihe von Rhythmen innerhalb Seiner eigenen, alles umgreifenden
Ausdehnung Seiner Selbst als Zeit und Raum. Wir sehen darüber hinaus, daß diese
oder jede kosmische Aktion unmöglich ohne das Spiel einer unendlichen Kraft des
Seins geschehen kann, die alle diese Formen und Bewegungen hervorbringt und
lenkt. Und diese Kraft setzt genauso die Aktion eines unendlichen Bewußtseins
voraus oder ist selbst diese Aktion, denn sie ist ihrer Natur nach kosmischer
Wille, der alle Beziehungen bestimmt und sie durch seine Art des Erkennens
wahrnimmt. Er könnte sie aber nicht so bestimmen und wahrnehmen, wenn es nicht
hinter dieser Art kosmischen Erkennens ein umgreifendes Bewußtsein gäbe, damit
durch es die Beziehungen des Wesens in der sich entwickelnden Gestaltung oder im
Werden seiner selbst, was wir das Universum nennen, verursacht, festgehalten,
fixiert und reflektiert werden.
Schließlich muß eine unermeßliche Selbst-Seligkeit
Ursache, Wesen und Ziel des kosmischen Daseins sein, da Bewußtsein auf diese
Weise allwissend und allmächtig, in völlig erleuchtetem Besitz seiner selbst ist
und ein so erleuchteter Besitz mit Notwendigkeit und seiner wahren Natur nach
Seligkeit ist (es kann nichts anderes sein). Der Seher des Altertums sagt: “Gäbe
es nicht diesen allumfassenden Äther von Seins-Seligkeit, in dem wir wohnen, und
wäre diese Wonne nicht unser eigener Äther, könnte niemand atmen, niemand
leben.” Die Selbst-Seligkeit mag unterbewußt werden, scheinbar unserem äußeren
Menschen verloren gehen, muß aber nicht nur dort an den Wurzeln unseres Wesens
vorhanden, sondern alles Dasein muß dem Wesen nach das Suchen und Streben sein,
diese Seligkeit zu entdecken und zu besitzen. In dem Maße, in dem sich die
menschliche Kreatur im Kosmos selbst findet, muß sie zu einer Erfahrung dieser
geheimen Ekstase erwachen: in Willen und Macht oder in Licht und Erkenntnis oder
in Wesen und Weite oder in Liebe und Freude selbst. Freude des Wesens, Entzücken
in der Realisation durch Erkenntnis, Wonne am Besitzen durch Wille und Macht
oder durch schöpferische Kraft, Ekstase der Einung in Liebe und Freude, das sind
die höchsten Begriffe sich ausbreitenden Lebens,
denn sie sind das Wesen des Seins selbst in seinen verborgenen Wurzeln und auf
seinen noch unsichtbaren Höhen. Überall, wo kosmisches Dasein sich manifestiert,
müssen also diese drei hinter ihm und in ihm sein.
Aber unendliches Sein, Bewußtsein und Seligkeit
brauchten überhaupt nicht in sichtbares Wesen herauszutreten; und wenn sie es
tun, müßte es kein kosmisches Dasein, könnte es einfach eine Unendlichkeit von
Gestaltungen sein ohne festgelegte Ordnung oder Beziehung, wenn sie nicht den
vierten Begriff, das Supramental oder die göttliche Gnosis, in sich enthalten,
entfalten und aus sich hervorbringen würden. In jedem Kosmos muß es eine Macht
von Wissen und Willen geben, die aus einer unendlichen Potentialität
feststehende Beziehungen fixiert, die Früchte aus den Saaten entfaltet, den
mächtigen Rhythmus kosmischen Gesetzes ablaufen läßt und die Welten schaut und
regiert als ihr unsterblicher und unendlicher Seher und Herrscher. (“Der Seher,
der Denker, Er, der überall im Werden hervortritt, der Selbst-Seiende.” Isha
Upanishad, 8) Diese Macht ist in Wirklichkeit nichts anderes als Er Selbst,
saccidananda. Sie erschafft nichts, was nicht in ihrem Selbst-Sein enthalten
ist. Aus diesem Grund ist alles kosmische und wirkliche Gesetz nichts von außen
her Auferlegtes; es kommt vielmehr von innen. Alle Entwicklung ist
Selbst-Entwicklung, alle Saat und ihre Früchte sind Saat einer Wahrheit der
Dinge und Früchte aus dieser Saat, bestimmt durch ihre potentiellen Kräfte. Aus
demselben Grund ist kein Gesetz absolut, denn nur das Unendliche ist absolut,
und alles enthält in sich endlose, weit über seine determinierte Form und den
festgelegten Ablauf hinausgehende Entfaltungsmöglichkeiten, die nur durch eine
Selbst-Begrenzung von seiten der Idee bestimmt werden, die aus unendlicher
Freiheit im Inneren hervorgeht. Diese Macht der Selbst-Begrenzung wohnt
notwendigerweise in dem Grenzenlosen All-Seienden. Das Unendliche wäre nicht das
Unendliche, wenn es nicht eine vielfältige Endlichkeit annehmen könnte. Das
Absolute wäre nicht das Absolute, wenn ihm in Wissen, Macht, Willen und
Manifestation seines Wesens eine grenzenlose Fähigkeit zur Selbst-Bestimmung
versagt wäre. Dieses Supramental ist also die Wahrheit oder Real-Idee, die in
aller kosmischen Kraft und Existenz eingeboren ist. Sie ist notwendig, obwohl
sie selbst unendlich bleibt, um Beziehung, Ordnung und die großen Linien der
Manifestation festzulegen, zu kombinieren und aufrechtzuerhalten. In der Sprache
der vedischen Rishis ist dieses Supramental,
ebenso wie Unendliches Sein, Bewußtsein und Seligkeit die drei erhabensten und
geheimen Namen des Namenlosen sind, der vierte Name: der vierte für Jenes in
seinem Herabkommen, der vierte für uns in unserem Aufstieg (turiyam svid,
“ein gewisses Viertes”, auch turiyam dhama genannt, die vierte Station
oder Balance der Kräfte des Seins).
Aber die niedere Trilogie Mental, Leben und Materie ist
auch für alles kosmische Wesen unentbehrlich, zwar nicht unbedingt in der Form
oder mit der Wirkensweise und unter den Bedingungen, die wir auf Erden oder in
diesem materiellen Universum kennen, wohl aber in einer vielleicht erleuchteten,
machtvollen, subtilen Art von Wirken. Denn das Mental ist im wesentlichen jene
Fähigkeit des Supramentals, die mißt und begrenzt, ein besonderes Zentrum
fixiert und von da aus die kosmische Bewegung und die gegenseitigen Einwirkungen
darin beobachtet. Zugegeben, in einer bestimmten Welt, Ebene oder kosmischen
Anordnung braucht das Mental nicht begrenzt zu sein, oder vielmehr brauchte der
Mensch, der das Mental als untergeordnete Fähigkeit verwendet, nicht unfähig zu
sein, die Dinge von anderen Mittelpunkten oder Standpunkten, ja vom wirklichen
Zentrum des Alls her oder in der Unermeßlichkeit universaler Selbst-Ausstrahlung
zu schauen. Wenn er sich aber normalerweise nicht für gewisse Zwecke göttlicher
Aktivität fest auf seinen eigenen Standpunkt zu stellen vermag, wenn es nur die
universale Selbst-Ausstrahlung oder unendliche Zentren ohne festlegende oder
frei begrenzende Aktion für jeden einzelnen gäbe, käme kein Kosmos zustande,
sondern nur ein Wesen, das in Sich Selbst, in seine Gedanken und Träume tief
versunken ist, wie etwa ein schöpferischer Mensch oder ein Dichter in
unbestimmter, freier, ungeformter Weise nachsinnt, bevor er an die entscheidende
Arbeit der Schöpfung geht. Solch einen Zustand muß es auf der unendlichen
Stufenleiter des Seins irgendwo geben, ist aber nicht das, was wir unter Kosmos
verstehen. Welche Ordnung dort auch herrschen mag, es muß eine Art nicht
festgelegter, nicht bindender Ordnung sein, wie sie etwa das Supramental
entwickelt haben kann, bevor es sich zum Werk festgelegter Entwicklung,
Abmessung und des gegenseitigen Einwirkens von Beziehungen aufmachte. Für ein
solches Abmessen und gegenseitiges Einwirken ist das Mental notwendig, obwohl es
dabei seiner selbst nur als einer untergeordneten Wirkungsweise des Supramentals
bewußt werden mag und die gegenseitige Einwirkung von Beziehungen auf der Basis einer sich selbst einsperrenden Ichhaftigkeit entfaltet, wie
wir sie in der irdischen Natur am Werke sehen.
Nachdem nun das Mental existiert, folgen Leben und Form von Substanz nach; denn Leben ist einfach die nähere Bestimmung von Kraft und Tätigkeit, von Beziehung und gegenseitiger Einwirkung der Energie aus vielen festliegenden Zentren des Bewußtseins, – festliegend, aber nicht unbedingt örtlich oder zeitlich, sondern als ständige Koexistenz von Wesen oder Seelen-Formen des Ewigen, der die kosmische Harmonie trägt und erhält. Dieses Leben mag sehr verschieden von dem Leben sein, wie wir es kennen oder begreifen. Im wesentlichen wäre aber dort dasselbe Prinzip wirksam, das wir hier als Vitalität gestaltet sehen, – das Prinzip, dem die Denker des indischen Altertums den Namen vayu oder prana, Lebens-Stoff, gaben, der substantielle Wille und die Energie im Kosmos, die sich in bestimmter Form, Aktion und bewußter Dynamik des Wesens auswirken. Auch Substanz kann sehr verschieden sein von unserer Anschauung und Empfindung eines materiellen Körpers, viel subtiler, viel weniger starr gebunden an ihr Gesetz von Selbst-Zerteilung und gegenseitigem Widerstand. Körper und Gestalt könnten Instrumente sein, kein Gefängnis. Doch wäre für das gegenseitige Einwirken im Kosmos eine gewisse Bestimmung von Form und Substanz immer notwendig, selbst wenn es nur ein mentaler Leib oder etwas noch Strahlenderes, Subtileres, noch machtvoller und freier Reagierendes wäre als der freieste mentale Körper.
Daraus ergibt sich: Wo immer Kosmos ist, kann solch ein
Vordergrund, wie er vom Wesen herausgestellt wird, nur eine illusorische
Verkleidung oder äußere Erscheinung seiner wirklichen Wahrheit sein, auch wenn
anfangs nur eines der Prinzipien sichtbar hervortritt, und selbst wenn dieses
zuerst das einzige Prinzip der Dinge zu sein scheint und alle übrigen
Prinzipien, die später in der Welt hervortreten mögen, nichts anderes zu sein
scheinen als dessen Form und Ergebnisse und nicht an sich selbst unentbehrlich
für das kosmische Dasein. Wo auch nur ein Prinzip im Kosmos manifest ist, müssen
alle übrigen nicht nur vorhanden und passiv verborgen sein, sondern insgeheim
wirken. In einer gegebenen Welt mag die Stufenleiter und Harmonie des Seienden
alle sieben Prinzipien in mehr oder weniger hohem Grad von Aktivität offen
besitzen. In einer anderen Welt mögen sie alle in einem einzigen Prinzip
involviert sein, das in dieser Welt zum primären oder fundamentalen Prinzip der
Evolution wird, aber eine Evolution des Involvierten muß
es dort geben. Die Evolution der siebenfältigen Macht des Wesens, die
Realisation seines siebenfachen Namens, muß die Bestimmung jeglicher Welt sein,
die offenkundig mit der Involution aller Mächte in eine einzige
anfängt.1
Darum war das materielle Universum der Natur der Dinge nach daran gebunden, aus
seinem verborgenen Leben ein sichtbares Leben, aus seinem verborgenen Mental ein
sichtbares Mental zu entwickeln. Es muß derselben Art der Dinge nach in der
Evolution von seinem verborgenen Supramental zum sichtbaren Supramental und vom
im Inneren verborgenen Geist zur dreieinigen Herrlichkeit von saccidananda
fortschreiten. Die einzige Frage ist, ob die Erde der Schauplatz für dieses
Hervortreten und das menschliche Geschöpf sein Instrument und Träger auf diesem
oder einem anderen materiellen Schauplatz, in diesem oder einem anderen Zyklus
des unermeßlichen Kreislaufs der Zeit sein soll. Die Seher des Altertums
glaubten an diese Möglichkeit für den Menschen und hielten das für seine
göttliche Bestimmung. Der moderne Denker faßt nicht einmal diesen Gedanken, oder
er negiert oder bezweifelt ihn, wenn er auftaucht. Hat er die Vision des
Übermenschen, ist dieser nur Träger höherer Grade von Mentalität oder Vitalität.
Er gibt nicht zu, daß ein anderer Typus auftauchen kann, schaut nicht über die
jetzigen Prinzipien hinaus, denn diese haben uns bis jetzt Begrenzung und
Kreislauf auferlegt. Es wohnt aber in dieser fortschreitenden Welt mit diesem
menschlichen Geschöpf, in dem der göttliche Funke entzündet wurde, die wirkliche
Weisheit wahrscheinlich eher bei dem höheren Streben als bei der Verneinung
dieses Strebens und der Hoffnung, die sich selbst begrenzt und einschränkt
innerhalb jener engen Mauern sichtbarer Möglichkeiten, die uns doch nur
Zwischenstation, Heim für unsere Übung sind. In der spirituellen Ordnung der
Dinge ist die Wahrheit, die auf uns herabzukommen bereit ist, um so größer, je
höher wir unseren Blick und unser Streben richten, da diese Wahrheit schon hier
in uns existiert und nach ihrer Befreiung aus der Umhüllung verlangt, die sie in
der geoffenbarten Natur verborgen hält.
1 In einer gegebenen Welt brauchte es keine Involution zu geben, sondern alle übrigen Prinzipien könnten einem einzigen untergeordnet oder in ihm enthalten sein. In einer solchen Weltordnung ist Evolution nicht notwendig.